Menü





Newsbox

neue Gemeindezeitung online: Nr.30





Sie sind hier: OB-Mitte.de :: Eule und Kauz
Der Funktionär

Kauz: Moin, Eule! Lange nicht gesehen... Wo jetzt im Frühjahr alles grünt und blüht und die Vögel auf der Balz und im Brutgeschäft sind, war leider wenig Zeit, eben wie jedes Jahr um diese Zeit. Aber nun lass' uns plauschen. Neulich hörte ich einen Kommentar über "Funktionäre" in einer menschlichen Gesellschaft. Funktionär kommt ja von "funktionieren" und was mich erstaunte, war, dass dieser Begriff auf Menschen angewandt wird. Man denkt doch eher an ein technisches Teilchen in einem mechanischen Ganzen, das dann "funktioniert". Für Menschen paßt das doch gar nicht oder?

Eule: Im Grunde paßt es natürlich nicht, aber...

Kauz: Was aber, erklär mir deine Welt!

Eule: Hör zu und schau sie dir an. Zunächst "funktioniert" ein mechanisches Teilchen wie du sagst in einem grösseren Ganzen, beispielsweise wie ein Kolben in einem Motor. Der bewegt sich... aber nur, wie geplant und eingebaut auf und ab und fertig. Eine Alternative hat der Kolben nicht: Er bewegt sich schlicht auf und ab dort, wo er im Zylinder eingebaut ist, sein ganzes Leben lang und mehr nicht. So "funktioniert" der Kolben und der ganze Motor eben.

Kauz: Fertig mit der Mechanikerlehre?

Eule: Moment bitte! Wenn wir es nicht grundsätzlich klären, verstehst du es nicht... Diesen Begriff des "Funktionierens" kann man auch auf Menschen anwenden im übertragenen Sinne, wenn sie in bestimmten Sachverhalten eben auch "nur funktionieren".

Kauz: Komm ich noch nicht mit.

Eule: Denke mal an Organisationsgebilde die streng autoritär und hierarchisch aufgebaut sind.

Kauz: Militär?

Eule: Ja durchaus, aber auch andere staatliche Stellen zum Teil, Parteien in einem totalitären System wie in der ehemaligen Sowjetunion, aber auch verschiedene kirchliche Organisationen, wenn auch nicht alle. In solchen Systemen ist es nicht gewünscht, dass der Mensch "in jede Richtung denkt und handelt", sondern nur nach ganz konkreten, engen Vorgaben und absolut getreu der "Parteilinie"...

Kauz: Das heißt, das eigene Denken wird ausgeschaltet?

Eule: Ja, so ist es.

Kauz: Dann wird der Mensch zu einem mechanischen Teilchen eines Apparates, verurteilt zu ganz bestimmten Bewegungen, wie der Kolben nur auf und ab, und gezwungen "JA" oder "NEIN" zu sagen, wie es ihm vorgesagt wird?

Eule: So ist es.

Kauz: Wird der Mensch mit all seinem geistigen Reichtum, seinem Gewissen, seiner Kreativität, seinem freien Willen dann nicht eingemauert. Ist er dann nicht irgendwie gestorben?

Eule: So ist es.

Kauz: He, Eule; du spielst Sokrates mit mir und läßt mich die Wahrheit Schritt für Schritt selbst finden oder? Mach` nicht solche Spielchen mit einem alten Freund!

Eule: Aber du hast ein solches System schon gut beschrieben. Der einzelne Mensch in einem solchen System ist arm oder verarmt im Laufe der Zeit, weil er degeniert zu einem mechanisch arbeitenden Teilchen ohne Kopf und Herz. Das System ist aber auch arm, weil es auf den Reichtum seiner Menschen, ihre Qualitäten und Fähigkeiten verzichtet.

Kauz: Der Durchblick kommt näher... Aber warum verzichten solche Systeme auf den Reichtum ihrer Mitarbeiter?

Eule: Das ist ganz unterschiedlich. In Militärorganisationen kann es für den einzelnen oder eine Gruppe überlebenswichtig sein, wenn blind und sofort gehorcht wird. In anderen Systemen sehe ich diese Notwendigkeit aber nicht. Hier will man oft das System schützen aus unterschiedlichen Motiven und stellt sich vor, dass es einfacher ist, totalen Gehorsam und Funktionieren zu verlangen, statt zu erklären und durch Überzeugung zu gewinnen, zu beraten miteinander und zu besprechen, um im Wege der freiwilligen Übereinstimmung vorzugehen. Aber wie gesagt, es gibt sehr unterschiedliche Motive. Viele dieser Systeme haben sich ja in der Vergangenheit totgelaufen, weil sie mit dieser Art des menschlichen Mechanismus keinen Erfolg mehr hatten oder einfach abgewirtschaftet waren oder jede Glaubwürdigkeit bei den Menschen verspielt hatten. Und dann kam...

Kauz: ..."Glasnost" und "Perestroika"?

Eule: Ja so ähnlich, zumindest beim russischen Bären... aber auch anderswo fand man heraus, dass es so nicht weitergeht und leitete Reformen ein.

Kauz: Aha, eine Führungsebene erkennt, dass die alte Führungsstruktur überholt ist, dass man nicht einfach so weiter machen kann, weil das eigene Überleben gefährdet ist, weil die Menschen immer unzufriedener werden oder sogar wegbleiben.

Eule: Jawohl.

Kauz: Und was passiert dann?

Eule: Nun mein lieber Freund wird es spannend...

Kauz: Warum erst nun?

Eule: Jetzt treten die Fehler der Vergangenheit erst recht zutage.

Kauz: Wieso?

Eule: Na jetzt kommt im gewissen Sinne die Strafe dafür, dass ein System jahrzehntelang nur Wert legte auf Menschen, die mit "Funktionieren" in Form von Befehl und Gehorsam zufrieden waren, sich zumindest ohne grösseren inneren Konflikt einfügen konnten. Die Strafe dafür, dass man sich beim Denken beschränken konnte auf die Vorgaben der Führung, beim Reden auf die vielen vorbereiteten Worte, Sätze, Zitate, Überschriften, Sprechblasen; Kreativität war erstickt und kann schlecht wiederbelebt werden...
Du mußt also mit einem bestimmten Menschentypen, der überall die Schaltstellen des Systems besetzt, nun eine ganz neue Strategie fahren, zu der dieser Mensch nicht geeignet ist, weil jahrzehntelang anders geprägt und erzogen.
Versuche doch mal, einen Kolben im Motor einzusetzen als Kurbelwelle. Nicht nur, dass der Kolben das nicht kann... seine ganze Form eignet sich nicht dazu... eigentlich kannst du ihn nur ..

Kauz: ... beiseite legen?

Eule: Im Grunde ja, aber man legt vielleicht mechanische Teile einfach beiseite, doch Menschen? Und dann noch Menschen, die so lange treu "gedient" haben, weil sie das taten, was verlangt und erwartet wurde.

Kauz: Brauchen wir einen Sozialplan?

Eule: Deine Fantasie ist klasse! Dann aber müßte man Nachwuchs haben in grosser Menge, der in der Regel nicht vorhanden ist. Das Zauberwort ist "Umerziehung".

Kauz: Sage mir einmal konkrete Beispiele für die oben angesprochenen "Strafen".

Eule: Gern tue ich das.
1. Nun muß ein Mensch, der Funktionär, auf seinem alten Platz plötzlich nach einem anderen Führungsprinzip handeln. Er muß seine weiteren Mitarbeiter oder Untergebenen nun durch Überzeugung, Freundlichkeit und Teamgeist gewinnen, wo er sie vorher "befohlen" hat. Dabei kann "befohlen" auch freundlich oder mit freundlichen Formulierungen erfolgt sein, aber jeder wußte: Es war ein Befehl. Er muß also jetzt Herz und Kopf gebrauchen, um Menschen zu motivieren und zu gewinnen. Das können viele nicht.
2. Jetzt mußte er viele Dinge in der Organisation logisch erklären, wo er früher sagte: Das ist so. Das haben wir immer so gemacht. Das können viele nicht.
3. Er muß "begeistern", wo er früher nur die Richtlinien rezitierte. Er ist vielleicht selbst zu wenig begeistert von dem neuen Prinzip, um noch zu begeistern. So kann der Funktionär es nicht.

Kauz: Ich ahne das Desaster.

Eule: Es geht weiter.
4. Er muß entscheiden. Früher hat er nach oben gehorcht, wie zu entscheiden wäre und konnte es ohne Verantwortung weiterreichen. Wenn er nicht sicher war, konnte er schnell noch mal anrufen. Jetzt aber hat man im einen Verantwortungsbereich gegeben, ein breites Feld, in dem er selbst zu gestalten hat. Es gibt zwar immer noch Vorgaben von oben, das ist normal, aber mit einem grossen Spielraum. Dieser Spielraum verlangt Verantwortung, aber das macht dem Funktionär vor allem Angst! Angst etwas falsch zu machen. Das lähmt ihn nachts, wenn er nicht schlafen kann, am Tage, wenn er sich entscheiden muß. Und es passiert wenig in seinem Arbeitsbereich, weil er sich nichts zutraut oder es nicht kann.
5. Er soll mitdenken, besser noch kreativ sein. Aber das kann er auch nicht, weil er anders erzogen ist. Wenn er in einer Runde mit seinem "Chef" sitzt und nach Gedanken und Ideen oder auch Kritik gefragt wird, bleibt er stumm. Obwohl er aufgefordert ist, sich zu bewegen, bleibt er sitzen wie ein Ölgötze und schaut betreten zu Boden. Er hat das neue System entweder nicht verstanden oder ist völlig überfordert.
6. Und dann noch der Dogmenkreisel. Reformiert werden ja nicht nur Führungsstrukturen, sondern auch Inhalte. Zentrale Aussagen einer Organisation werden geändert, manchmal aufgrund neuerer Erkenntnisse fast ins Gegenteil der alten Aussage verkehrt. Warum auch nicht! Aber diejenigen Funktionäre, die die alten Aussagen als "die absolute Wahrheit" hingestellt haben oder denjenigen, der solche Aussagen geprägt hat als eine "unfehlbare Person" deklariert hatten, haben nun ein Problem: Sie müssen vielleicht das Gegenteil von dem erzählen, was sie gestern sagten. Da schwindet die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen der Zuhörer.
Ja, so ist das. Das neue Führungsprinzip ist gut, weil das System sich den Reichtum der Mitarbeiter zunutze macht, aber die Funktionäre setzen es nicht um. Sie verstecken sich in altem Denken, Reden, Handeln.

Kauz: "Auf zu neuen Ufern!"

Eule: Pssst! Sei bloß still. Sonst zucken so viele zusammen.

Kauz: Aber der Zug fährt...

Eule: Natürlich fährt er. Aber zu wenig Funktionäre alter Ordnung schauen freudig aus dem Fenster dem Ziel entgegen, viele laufen im Zug zurück und merken nicht, dass das nichts bringt, manche springen im Geiste ab oder schließen einfach die Augen.

Kauz: Gott sei Dank, gibt es das in unserer schönen Kirche nicht in dieser Form.

Eule: Ja, Gott sei Dank, äh was hast du gesagt?


« zurück
nächste Termine
Es sind keine Termine vorhanden
© by ob-mitte.de | Kontakt | Impressum